Von Gelehrten und Künstlern
Gottfried Kniller (1646–1723) und sein Bildnis eines jungen Gelehrten
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Von Gelehrten und Künstlern

Zum 300. Todestag Gottfried Knillers am 19. Oktober 2023 präsentiert das St. Annen-Museum erstmals das 2015 erworbene und frisch restaurierte Bildnis eines jungen Gelehrten, das vermutlich ein Selbstporträt ist. Der in Lübeck geborene Kniller wurde in England berühmt als Porträtmaler des Hochadels und des Königshauses.

Karriere

Für den jungen Gottfried Kniller ist von seinem Vater eigentlich die militärische Laufbahn vorgesehen, weshalb er zum Studium der Kriegswissenschaften und Mathematik nach Leiden geschickt wird. Dort entdeckt er aber sein Talent für die Malerei und geht nach Amsterdam, wohl zur Ausbildung bei dem Rembrandt-Schüler Ferdinand Bol. Zwischen 1668 und 1672 hält er sich in Lübeck auf, bevor er nach Rom geht. Dort wie auch später in Neapel und Venedig studiert er die italienische Malerei und unterhält eigene Werkstätten. Es zieht ihn allerdings schon 1676 weiter nach London, wo er van Dyck nacheifern will und wo er als Godfrey Kneller zum erfolgreichsten Porträtmaler seiner Zeit wird. Er ist Spezialist für Bildnisse englischer Adeliger, auch der Mitglieder des Königshauses.

Gottfried Kniller: Selbstbildnis, Inv. Gm 366. Foto: St. Annen-Museum, Fotoarchiv

Nebenbei ist er als Friedensrichter tätig. König William III schlägt ihn 1691 zum Ritter und im Jahr 1700 Kaiser Leopold II. zum deutschen Reichsritter. 1715 erhält er den vererbbaren Titel Baronet und gehört somit zum niederen Adel Englands. 1711 bis 1716 ist er Direktor der „Kneller Academy of Painting and Drawing“, und er betreibt eine große Werkstatt in London. Sein Erfolg verschafft ihm ausreichend Wohlstand, um mit dem Lebensstil der englischen Oberschicht mitzuhalten. Dort ist er zudem als gebildeter und unterhaltsamer Gesprächspartner geschätzt, der die Umgangsformen seiner Auftraggeber beherrscht. Aristokraten und Künstler gehen in seinem Atelier ein und aus, und so wird dieses zum Umschlagplatz von Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch. Dies trägt vermutlich zur großen Popularität Knillers bei.

1723 stirbt er im Alter von 77 Jahren an einer fiebrigen Infektion. Er wird in der St. Marys Church in dem Londoner Stadtteil Twickenham beigesetzt. Als einziger Maler bekommt er außerdem ein Grabmal in der Westminster Abbey, der Krönungs- und Begräbniskirche der englischen Könige. Das Grabmal ist von ihm selbst entworfen. 

Zur Entwurfszeichnung im British Museum

 

Künstlerfamilie

Gottfried Knillers Vater Zacharias (Eisleben 1611–1675 Lübeck) ist ebenfalls Maler. Von ihm stammt zum Beispiel das Porträt des Lübecker Bürgermeisters und Ratsherrn Anton Köhler d. J. in der Dauerausstellung des St. Annen-Museums. Zudem ist Zacharias Werkmeister der Lübecker Katharinenkirche, also für den Unterhalt des Kirchenbaus zuständig. In der Katharinenkirche hängt das Grabmal, das seine Söhne Gottfried und Johann Zacharias für ihn angefertigt haben.

Auch Johann Zacharias (1644–1702) ist Maler. Er begleitet seinen Bruder Gottfried nach Rom und folgt ihm nach England, wo sie gemeinsam in einer Werkstatt arbeiten. Der jüngste Bruder, Andreas (1649–1724), ist Organist und Komponist in Hamburg.

Gottfried und Johann Zacharias: Epitaph für Zacharias Kniller in der Katharinenkirche, Inv. 2021/A29 (K). Foto: Michael Haydn

Gottfried Kniller als Porträtmaler

Als ältestes bekanntes Gemälde Knillers gilt das 1666 entstandene Porträt des Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn. Der Kurfürst ist mit stolzer Haltung und strengem Blick wiedergegeben. Entschlossen rafft er den Rock seiner Amtstracht mit der rechten Hand. Was auf dem Papier in seiner linken Hand steht, ist nicht erkennbar. Das Gemälde befindet sich in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien.

 Zum Porträt im Kunsthistorischen Museum Wien

Die beiden Porträts von Thomas und Katharina Fredenhagen im St. Annen-Museum sind 1675 entstanden, also wohl während Knillers Studienzeit in Italien. Dennoch schlagen sich die typische barocke Bewegtheit und der Farbenreichtum der italienischen Gemälde nur teilweise in seinen Werken nieder. Die Fredenhagen-Porträts entsprechen typischen Patrizier-Bildnissen des 17. Jahrhunderts, die Ansehen und Wohlstand der zur städtischen Elite gehörenden Porträtierten wiedergeben sollen. Statussymbole wie kostbare Kleidung und Schmuck sind dabei (noch) wichtiger als eine zeitgemäße Art der Darstellung. Die noch heute erhaltenen Originalrahmen mit aufwändigen Blumenranken wirken vergleichsweise modern. Aber die Art der Darstellung hängt natürlich auch von den Wünschen der Auftraggeber ab. Der Kaufmann, Reeder und spätere Ratsherr Thomas Fredenhagen ist der reichste Bürger seiner Zeit in Lübeck. Entsprechend lässt er sich und seine Frau von dem besten Maler der Stadt porträtieren.

Gottfried Kniller: Thomas und Katharina Fredenhagen, Inv. 1919/120 und 121. Fotos: Michael Haydn

Nach seiner Ankunft in England bekommt Kniller schnell Zugang zu bedeutsamen Auftraggebern. Er fertigt unzählige Bildnisse von Adeligen an ebenso wie von Politikern und Militärangehörigen. Dazu zählen 48 Mitglieder des Londoner Kit-Cat-Clubs. Der politische Club ist ein wichtiger gesellschaftlicher Treffpunkt. Knillers Kontakte und sein guter Ruf führen dazu, dass er in seiner Laufbahn zehn regierende europäische Monarchen porträtieren darf, darunter auch den französischen König Ludwig XIV. und den russischen Zaren Peter I.

Frauen sitzen ihm deutlich seltener Modell. Die bekanntesten erhaltenen Porträts sind die der acht „Hampton Court Beauties“. Die von Queen Mary II beauftragte Serie zeigt die Hofdamen Williams III und schmückt den Hampton Court Palace im Südwesten Londons.

Zum Porträt von Frances Whitmore, Lady Middleton im Hampton Court Palace

Die Damen sind jugendlich idealisierend in locker fallenden Kleidern, mit natürlichen Frisuren und manchmal vor einem Landschaftshintergrund dargestellt. Die Kunstgeschichte kritisiert später die fehlende Individualität. Diese ist im Gegensatz dazu bei dem oben beschriebenen Bildnis Katharina Fredenhagens noch gut zu erkennen: Ihre Gesichtszüge zeugen von ihrem tatsächlichen Alter und einem bewegten Leben.

Aber auch bei Männerbildnissen sind immer wieder ähnliche Posen und durch gleichförmige Perücken und Kleidung sehr große Parallelen zwischen den Porträts zu sehen. In späteren Jahren malt Kniller bei Porträts nur noch Gesichter nach dem lebenden Modell selbst, den Rest übernehmen seine Mitarbeiter. Er zeichnet eine Vorskizze und Körperumrisse auf die Leinwand und gibt seinen Mitarbeitern Notizen zur gewünschten Pose. Dann übernehmen Spezialisten für Kleidung, Perücken etc. den Rest. Auch dies trägt zu Wiederholungen der Bildelemente bei. Zudem werden Knillers Gemälde von Zeitgenossen und Schülern nachgeahmt, wodurch sich diese Art der Porträts vervielfältigt. Kritiker bezeichnen die Gesichter schon bald nach Knillers Tod als leblos und gleichförmig und sehen den beginnenden Niedergang der englischen Porträtkunst. Die Ähnlichkeiten haben jedoch auch mit der Vorstellung des 17. Jahrhunderts zu tun, dass sich der Charakter – zu dem auch der gesellschaftliche Stand gezählt wurde – in den Gesichtszügen ausdrückt. Die Ähnlichkeit im Bildnis wird also nicht durch eine naturgetreue Wiedergabe der tatsächlichen Gesichtszüge erzeugt. Vielmehr transportieren von den Zeitgenossen lesbare typische Bildschemata die Persönlichkeit der Porträtierten.

Dieses Phänomen betrifft vor allem die späteren Porträts der englischen Hocharistokratie. Viel interessanter sind hingegen die frühen Darstellungen und diejenigen von Künstlern und Gelehrten. Kniller malt zahlreiche bedeutende Wissenschaftler und Philosophen seiner Zeit wie John Locke und Isaac Newton. Die späteren Bilder kommen ohne viel Dekor aus und wirken sehr nüchtern im Vergleich zu seinen frühen Gelehrten-Bildern.

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Bildnis eines jungen Gelehrten

Gottfried Kniller: Junger Gelehrter mit Federbarett, Öl auf Leinwand, H. 97 cm; B. 82,5 cm. Foto: St. Annen-Museum, Fotoarchiv

Das 2015 im Kunsthandel erworbene Porträt eines jungen Gelehrten reiht sich ein in die von Kniller vermutlich während seines Aufenthalts in Lübeck zwischen 1668 und 1672 gemalten Bilder von Gelehrten in ihren Studierstuben. Das Gemälde zeigt einen jungen Mann im gelben Umhang mit Spitzenkrawatte und Federbarett. Der Globus im Hintergrund sowie die Bücher und Schreibutensilien auf dem Tisch weisen ihn als Gelehrten aus. Unterhalb seiner Hand jedoch liegt ein Bündel Malpinsel, und im Halbdunkel des Hintergrunds ist eine Farbpalette auszumachen. Diese Werkzeuge lassen vermuten, dass es sich bei dem Dargestellten um den Maler selbst handeln könnte. Damit wäre dieses Bild das früheste bekannte Selbstporträt Knillers.

Das Gemälde zeigt einen pictor doctus, einen gelehrten Maler. Die Idee dahinter war, dass ein Maler die Wirklichkeit nur dann richtig abbilden kann, wenn er sie selbst versteht. Bildung in Naturwissenschaften und Philosophie gilt im 17. Jahrhundert als wichtige Voraussetzung dafür, ein guter Maler zu sein. Maler, die bis dahin eher als Handwerker galten, stellen sich damit selbstbewusst auf eine Ebene mit den größten Denkern ihrer Zeit. Dies drückt sich auch in ihrer Kleidung aus, die bis ins folgende Jahrhundert bei Darstellungen von Philosophen, Schriftstellern und Künstlern nahezu gleich ist.

Gottfried Kniller: Alter Gelehrter in seiner Studierstube. Foto: St. Annen-Museum, Fotoarchiv
Johann Zacharias Kniller: Junger Gelehrter. Foto: Michael Haydn

Im St. Annen-Museum befindet sich ein Bildpaar, das von Gottfried Kniller und seinem Bruder Johann Zacharias für die Lübecker Stadtbibliothek angefertigt wurde. Es schmückt den Scharbau-Saal der Stadtbibliothek, bis es 1893 dem Museum übergeben wird. Die Darstellung eines alten Gelehrten ist von Gottfried Kniller signiert und auf 1668 datiert. Es zeigt einen alten Mann mit Bart und langen Haaren, gekleidet in Hausrock und Barett. Auf dem Tisch, der mit einem persischen Teppich belegt ist, stapeln sich mehrere Bücher. Ein Totenschädel, eine Sanduhr und eine umgedrehte Laute erinnern an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Gut erkennbar sind ein Erd- und ein Himmelsglobus als typische Utensilien des Gelehrten. Sie sehen fast genauso aus wie die beiden Globen, die sich noch heute in der Stadtbibliothek befinden. Sie werden 1624 aus Amsterdam gekauft, wo sie Willem Janszoon Blaeu wenige Jahre zuvor angefertigt hat.

Himmelsglobus (1616) und Erdglobus (1622), Stadtbibliothek Lübeck. Fotos: St. Annen-Museum, Fotoarchiv

Die von Johann Zacharias Kniller im gleichen Jahr wie das Bild des alten Gelehrten gemalte Darstellung eines jungen Gelehrten hat – gespiegelt – einen ähnlichen Bildaufbau, wirkt aber insgesamt statischer. Ein geöffnetes Fenster lässt etwas Sonne in die Studierstube eindringen und verweist auf die Außenwelt, von der der alte Gelehrte bereits völlig abgeschnitten scheint. Die zu sehende Waffe, die reich bestickten Uniformteile und der schwarze Rock des Mannes könnten auch zu einer Amtstracht gehören. Vermutlich wurden deshalb die beiden Gemälde einst als „Philosophie“ und „Jurisprudenz“ bezeichnet.

Die Malweise, aber auch die Globen sowie das Tintenfass des alten Gelehrten haben dazu beigetragen, das neu erworbene Gemälde des jungen Mannes mit Federbarett Gottfried Kniller zuzuschreiben. In alten Auktionskatalogen und auf dem Rahmen ist es seinem mutmaßlichen Lehrer Ferdinand Bol zugeschrieben. Von diesem sind vergleichbare Motive mit Gelehrten und jungen Männern mit Federbaretten bekannt. Man sieht malerische Gemeinsamkeiten von Knillers Gemälden mit den Porträts seines Lehrers in der Art der Verschattung des Gesichts, der Kleidung und der Körperhaltung. Dies liegt aber wahrscheinlich daran, dass Kniller es während seiner Lehrzeit schnell schafft, Bol nachzuahmen. Das erfolgreiche Nachahmen bedeutender Künstler gilt in der Zeit als Qualitätskriterium.

Anlässlich der Auktion in Zürich, bei der das Gemälde 2015 für das St. Annen-Museum gekauft wurde, wird ein kunsthistorisches Gutachten angefertigt. Anhand stilistischer und thematischer Ähnlichkeiten mit seinen signierten Werken stellt es Gottfried Kniller ziemlich sicher als Urheber fest.

Zuschreibung

Restaurierung

Beim Kauf 2015 ist das Gemälde aufgrund erheblicher früherer Restaurierungsmaßnahmen erneut in einem restaurierungsbedürftigen Zustand. Der Firnis, die transparente Schutzschicht über der Malerei, ist dick, vergilbt und an manchen Stellen runzelig oder stark glänzend und trübt dadurch den optischen Eindruck. Er wird daher bei der Restaurierung im Jahr 2020 abgenommen und durch einen neuen Firnis ersetzt. Bei der Firnisabnahme wird erkennbar, dass bei alten Restaurierungen mit aggressiven Lösungsmitteln auch Teile der originalen Malschicht beschädigt („verputzt“) wurden. Die zutage gekommenen alten Retuschen sehen unbefriedigend aus und werden abgenommen. Die Restauratorin retuschiert die Fehlstellen nun behutsam so, dass die darunterliegenden Malschichten erkennbar bleiben. Es soll lediglich ein optisch geschlossener Eindruck entstehen.

Beim Ankauf ist an den Rändern sichtbar, dass die Leinwand mehrfach auf einen Rahmen aufgespannt und abgenommen wurde. Sie ist außerdem mit einem verstärkenden Gewebe unterlegt und durch diese Verklebung verhärtet. Dieser Zustand wird belassen, aber die Restauratorin stabilisiert die beschädigten Kanten vorsichtig mit einem Vlies, damit das Gemälde keine weiteren Schäden nehmen kann.

In diesem gesicherten und restaurierten Zustand ist das Gemälde nun das erste Mal für die Besucher:innen des St. Annen-Museums öffentlich sichtbar.

Probefläche zur Firnisabnahme mit verputzten Malschichtbereichen. Foto: Catherina Wruck
Im UV-Licht erscheinen Altretuschen auf der Hand und der Papierrolle violett. Foto: Catherina Wruck
Nach der Restaurierung erscheinen die neu ausgeführten Retuschen im UV-Licht dunkel. Foto: Catherina Wruck

Literatur

Katrin Herbst: Schönheit als Tugend. Sir Godfrey Kneller und die englische Porträtmalerei um 1700. Berlin 2002.

Thorsten Rodiek: Ein Kni(ü)ller für das Museumsquartier. In: Lübeckische Blätter, 12. März 2016, H. 5, S. 82–84.

J. Douglas Stewart: Sir Godfey Kneller and the English Baroque Portrait (Oxford Studies in the History of Art and Architecture). Oxford, New York 1983.

Lara Yeager-Crasselt: „Scholar in His Study“ (2017). In: The Leiden Collection Catalogue, Hrsg. von Arthur K. Wheelock Jr., Lara Yeager-Crasselt. 3. Auflage New York, 2020–. https://theleidencollection.com/artwork/scholar-in-his-study/.

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